Über einen täglichen Irrtum in unserem Leben.
Weihnachtsendspurt an der Kasse der Buchhandlung. Menschen bepackt mit Taschen drängeln. Fast alle wollen ihre Buchgeschenke schön einpacken lassen. Es kommt zum Stau an der Einpackstation.
„Warum haben Sie denn nicht mehr Personal eingesetzt?“, beschwert sich ein ungeduldiger Kunde. „Aber wir haben schon drei Mitarbeiterinnen hier zum Verpacken“, versucht sich die Kassiererin zu rechtfertigen.
Doch der Kunde lässt nicht locker: „Es ist doch wohl selbstverständlich, dass Sie in solchen Stoßzeiten genügend Personal vorhalten.“
Da war es wieder.
Schon seit geraumer Zeit fällt mir auf, dieses „Das ist doch selbstverständlich.“ Es beinhaltet einen Anspruch, dass die Dinge in einer bestimmten Weise zu laufen haben.
Aber ist es das wirklich?
Nichts ist selbstverständlich.
„Bester Service ist für uns selbstverständlich.“ Klar, ist das nett und komfortabel, aber ist es selbstverständlich? Je mehr man für selbstverständlich hält, umso mehr werden die Ansprüche in die Höhe geschraubt. Denn das „Normale“ ist ja schon selbstverständlich. Erst das Außergewöhnliche zählt.
Doch das ist ein gefährlicher Weg, denn auch das Außergewöhnliche wird irgendwann zum normalen Angebot – und damit auch wieder selbstverständlich.
Ich war dieses Jahr ziemlich krank. Verbrachte viel Zeit in Wartezimmern von Ärzten, in Fluren von Krankenhäusern, in Klinikbetten. Und war sehr dankbar für die ausgezeichnete Versorgung in Deutschland, die moderaten Wartezeiten, die kompetenten Ärzte und Schwestern, die fast immer reibungslose Organisation. Und alles wurde von meiner Krankenkasse bezahlt.
Manchmal gehe ich gerne spazieren. Nicht joggen oder walken, sondern einfach nur spazieren. Und freue mich daran, dass ich noch nie überfallen wurde. Dass ich saubere Luft atmen kann. Kein Erdbeben oder Tornado mich ängstigen.
Alles nicht selbstverständlich.
Wenn ich nach Hause komme, sind die Zutaten für mein Abendessen schon im Kühlschrank. Sie sind von guter Qualität und nicht sonderlich teuer. Es gab eine Riesenauswahl, aus der ich frei wählen konnte. Musste keinen Tagesmarsch hinter mich bringen, um sie zu besorgen, sondern auf dem Nachhauseweg einfach mitbringen.
Ich übe einen Beruf aus, der mich sehr erfüllt. Das war nicht immer so. Aber ich konnte immer frei wählen. Weder meine Schulbildung noch meine Ausbildungen spielten dabei eine große Rolle. Ich könnte sogar überall auf der Welt arbeiten.
Meine Frau konnte ich mir selbst aussuchen. In dem Alter, in dem es mir passend erschien. Von meiner ersten Frau, mit der ich verheiratet war, konnte ich mich in einem kurzen Verfahren vor einem Richter, wieder scheiden lassen. Aus all dem entstanden mir keine Nachteile, genau genommen, niemand interessierte es sonderlich.
Wenn ich mich über das Weltgeschehen informieren will, gibt es eine Vielzahl von Informationsquellen. Ich kann die Bücher oder Zeitungen lesen, die ich will. Über das Internet sind auch ausländische Quellen verfügbar.
Alles nicht selbstverständlich.
Ich kann eine Partei wählen, die die Regierung stellen soll. Da ich in einer Demokratie leben, gewinnt nicht immer die Gruppierung, die ich bevorzuge. Aber es sind im Großen und Ganzen demokratische Parteien. Ich könnte sogar selbst Politiker werden.
Morgens geht die Sonne auf und ich kann Ihre wärmenden Strahlen aus dem Fenster meines Schlafzimmers sehen und fühlen. Ich könnte auch nach draußen in den Garten gehen. Ich liege in meinem Bett und freue mich, dass ein neuer Tag beginnt.
Ich bin 68 Jahre alt geworden. Das ist ein mittleres Alter aber ich weiß, dass längst nicht alle Menschen auf der Welt so lange leben. Nicht nur in Afrika.
Wenn ich aufstehe und mich unter die warme Dusche stelle, denke ich nicht darüber nach, was für eine wundervolle Erfindung das ist und was für eine technische Entwicklung dahinter steckt, dass in fast jedem Haus genügend Wasser, sogar warmes, vierundzwanzig Stunden am Tag zur Verfügung steht.
Alles nicht selbstverständlich.
Der Duden zählt als Synonyme für den Begriff „selbstverständlich“ unrer anderem auf: [allgemein] gebräuchlich/üblich, alltäglich, bedenkenlos, einleuchtend, folgerichtig, fraglos, gängig, gang und gäbe, gewöhnlich, konsequent, natürlich, normal, üblich, unhinterfragt, unzweifelhaft; (umgangssprachlich) logisch.
Doch all die Dinge, die ich aufgezählt haben, sind keineswegs „alltäglich“. Oder „gewöhnlich“ oder „normal“ oder „üblich“.
Wer Zeitung liest oder eine Weile in irgendeinem anderen Land lebt, weiß zum Beispiel, dass selbst in zivilisierten Ländern wie den USA oder Großbritannien eine Krankheit sich schnell zu einem großen Problem auswachsen kann.
Viele Dinge unseres Lebens werden „selbstverständlich“, weil wir uns daran gewöhnt haben und wir glauben, dass wir uns auf ihr Dasein oder Auftreten verlassen können. Doch das ist meist eine große Illusion. Gestern passierte der Terrorangriff mit einem LKW auf einem Berliner Weihnachtsmarkt. Jedes schreckliche Ereignis und sei es „nur“ ein Verkehrsunfall, den wir erleben, macht uns deutlich, dass auch die eigene Unversehrtheit oder das Weiterleben nicht selbstverständlich sind.
Indem wir etwas für selbstverständlich halten, ignorieren wir es.
Verlieren wir die Wertschätzung.
Die freundliche Bedienung im Restaurant, das klare Wasser aus der Leitung, dass unsere Beine uns dorthin tragen, wohin wir wollen – erst das Fehlen macht uns bewusst, dass es gar nicht selbstverständlich war. Sondern ein Geschenk.
Wie kann man der Falle des „Selbstverständlichen“ entgehen?
Das ist gar nicht so einfach. Eckhart Tolle hat beobachtet, dass wir immer auf „die nächste Sache“ warten. Egal, was wir gerade tun, wir warten auf die nächste Sache. Hier spricht er darüber.
Nicht so vieles für selbstverständlich halten, geht vielleicht am besten, indem man im Moment lebt. Und das wahrnimmt, was man gerade erlebt und es nicht für selbstverständlich/normal(üblich etc. hält. Vielleicht sogar ein bisschen dankbar ist, dass dies gerade im Leben da ist.
Was finden Sie nicht selbstverständlich?
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Was für ein schöner Artikel!! Danke! So ist es nämlich, das Leben ist voller Wunder und wir müssen nur die Augen dafür öffnen. Nichts als selbstverständlich ansehen! Das ist soo wahr!
Liebe Grüße,
Ilka-leonie
Hey Roland,
Ich halte es für nicht selbstverständlich, dass ich in einem Land leben darf, wo kein Krieg herrscht. Dass ich an einem Ort aufwachsen konnte, wo ich Meinungsfreiheit herrscht und ich oft handeln kann, wie ich möchte.
Ich halte es für nicht selbstverständlich, dass du einen so schönen Beitrag verfasst, der mich eben wirklich zum Nachdenken anregt. Dafür danke ich dir.
mfg Thomas
Liebe Frau Hermanns,
„Das Leben wurde mir geschenkt und ich sehe meine Aufgabe darin, das Beste daraus zu machen“, ein schönes Lebensmotto, wie ich finde.
Danke für Ihre guten Wünsche.
Ein schönes Thema, gut passend zum Jahresausklang. Eigentlich immer passend.
Für mich ist mein Leben nicht selbstverständlich, es wurde mir geschenkt und ich sehe meine Aufgabe darin, das Beste daraus zu machen. So kann ich dieses Geschenk am besten wertschätzen.
Alles, was wir Menschen erfahren dürfen, ist nicht selbstverständlich und alles, was uns begegnet, hat immer etwas mit uns zu tun. Wir brauchen nur darauf achtgeben und verstehen. Das ist nicht viel, was wir dafür tun müssen, um das Geschenk Leben zu bewahren.
Ihnen alles Gute und Gesundheit
Hallo Herr Klautsch,
freut mich, dass Ihnen mein Blog gefällt.
Dort habe ich mal einen Artikel geschrieben über den Unterschied zwischen Bedürfnissen und Ansprüchen. In Kürze: Bedürfnisse, wenn man sie erfüllen kann, machen „satt“. Ansprüche nie.
Sehr gehrter Herr Kopp-Wichmann, wünsche Ihnen noch einen erholsamen 2. Weihnachtstag, beste Wünsche für Gesundheit im neuen Jahr und Dank Ihnen für diesen Beitrag. Ihrer Beobachtung über Anspruchhaltungen dem Leben gegenüber, kann ich nur zustimmen; Geduld, Muße, Demut und Achtsamkeit gegenüber den gleichfalls berechtigten Wünschen anderer könnten und sollten wir uns auf die Fahnen der Vorsätze für 2017 schreiben, alles Gute Ihnen, mit nochmaligem Dank für Ihren Blog, Herbert Klautsch
„Als Frau empfinde ich nochmal eine besondere Dankbarkeit, hier ein freies selbstbestimmtes Leben führen zu können.“ Das ist auch ein wichtiger Punkt, der oft übersehen wird. Und der ja auch bei uns noch nicht allzu lange Wirklichkeit ist. Da hat die Frauenbewegung unschätzbar Wichtiges geleistet.
Da kann ich mich nur dem Autor und allen anderen, die kommentiert haben, anschließen. Wenn man in anderen – ärmeren – Ländern unterwegs war, verändert sich der Blickwinkel total:
Wenn es bei uns regnet und manche über das „schlechte“ Wetter schimpfen, erinnere ich mich oft an die Situationen, die ich in Indien erlebt habe, wenn es dort regnet. Alles ist gleich total überschwemmt, man kann kaum aus dem Haus gehen, so heftig regnet es. Ich erinnere mich lebhaft an Menschen, wie sie in ihren primitiven dunklen Hütten sitzen und frieren. – Wie gut geht es mir in meiner Wohnung, in der ich bloß den Thermostat der Heizung etwas aufdrehen muss. Und die vielen Möglichkeiten, die ich habe, mir es zu Hause gemütlich zu machen und mich zu beschäftigen.
Ja, wir nehmen vieles als allzu selbstverständlich hin. Ich bin sehr dankbar, hier in diesem Land geboren zu sein und leben zu dürfen. Als Frau empfinde ich nochmal eine besondere Dankbarkeit, hier ein freies selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Danke für diesen tollen Artikel!
Ich kenne viele geflüchtete Menschen. Das Zusammensein mit ihnen lässt mich das Leben aus einem anderen Blickwinkel sehen.
Meerjungfrauen Farbverlauf DESIGN mit Pastell Bikinioberteil ASOS Muscheldesign und farbverlaufinpastelltönen in Triangel Gestern war Heiligabend. Die ganze Familie kommt selbstverständlich zusammen. Wir sitzen gemütlich um den Kamin und dürfen Weihnachtsfreude erleben. Was für ein Geschenk!
Viele Jahre habe ich darüber gar nicht nachgedacht! Und nun denke ich an die hungernden, frierenden Menschen in Aleppo, die auf ihre Rettung warten, weil es für die Kriegsparteien nicht selbstverständlich ist, Zivilisten zu verschonen. Ich denke an die Kinder, die keine Kindheit haben. An Erwachsene, die keine Heimat mehr haben. An Männer, die ihre Frauen und Kinder lange Zeit, vielleicht auch nie mehr wiedersehen werden. Ich denke an Trauma, Angst und Gefahr, die an den Grundfesten dessen, was selbstverständlich sein sollte, ein normales Leben, rütteln.
Ich spüre unendlich viel Dankbarkeit für unsere Situation in Deutschland und so viel Unbehagen. Viele der Geflüchteten sind meine Freunde geworden, wichtige Menschen in meinem Leben. Letzte Woche haben sie ein Weihnachtsessen für ihre Helfer gekocht. Sie haben sich bedankt, für die vielfältigen Hilfen, die sie überhaupt nicht selbstverständlich finden und für die sie ihre Wertschätzung zeigen möchten.
„dass in jedem Moment ein kleines Wunder birgt und eben keine Selbstverständlichkeit.“
Genau das wollte ich ausdrücken.
„Es gibt nur zwei Arten zu leben.
Entweder so als wäre nichts ein Wunder
oder so als wäre alles ein Wunder.“
Das Zitat von Albert Einstein ist mir ein guter Leitfaden, wenn es im Leben mühsam und ruppig zugeht und scheinbar nur Unzufriedenheit und Gemotze existiert.
Wertschätzung und Dankbarkeit für das, was ich in meinem Leben haben, entfachen die Freude im Herzen und manchmal stecke ich andere damit an.
Ihr Artikel erinnert wunderbar umfassend daran, dass in jedem Moment ein kleines Wunder birgt und eben keine Selbstverständlichkeit.
Vielen Dank dafür und ein gesundes und reiches 2017!
Angela Braun
Frohe Weihnachten und viel Gesundheit und Liebe für 2017 für Sie und Ihre Familie.
Ihr Artikel hat mich wie immer berührt und die Perlen gehören ’selbstverständlich‘ ? zu meiner Sonntagslektüre
Danke für diese schönen Geschenke.
Herzlich aus Frankfurt
Annette van den Bussche
Ja, Reisen, vor allem in „unterentwickelte“ Länder hilft, die Perspektiven zurechtzurücken.
Und in Deutschland nach dem verlorenen Krieg und in einem zerstörten Land war auch ganz vieles nichts selbstverständlich für uns. Aber an das Gute gewöhnt man sich schnell und scahut viel zu sehr auf das, was nicht funktioniert.
Danke für Ihre Lesertreue.
Ihr Beitrag spricht mir aus der Seele! Mein Mann und ich waren 14 Tage in Vietnam und Kambodscha unterwegs. Während dieser Reise habe ich mir sehr oft gedacht, mein Gott – wie gut geht es in in Europa! All die Dinge, die Sie in Ihrem Blog beschreiben, sind in diesen Länder nur für eine kleine Minderheit von Menschen zugänglich. Der Großteil der Bevölkerung muss sich einem täglichen Kampf um die alltäglichsten Dinge aussetzen. Am ärmsten sind die Kinder, die nicht wissen in welchem Elend sie leben. Schulpflicht ist nicht überall, Nahrung und sauberes Wasser ein Luxus. Ich wurde durch diese Reise wieder bescheidener und dankbarer.
Herzlichen Dank für Ihre wertvollen Blogs, die ich jeden Sonntag lese.
Es kommt eben immer darauf, wie man es interpretiert.
Hier fand ich etwas Passendes zu Ihrem Artikel, den man sich immer wiedermal ins Gedächtnis rufen sollte …
Das stand im Kalenderblatt vom 21.12. ( Der andere Advent – vom Andere Zeiten Verlag ).
Dankbar!
Früh wach – lebendige Kinder
Haus voller Unordnung – ein Dach über dem Kopf
Schon wieder Regen – gut für den Garten
Der tägliche Einkauf – Versorgung gesichert
Berge von Wäsche – genug zum Anziehen
Stapel von Abwasch – alle sind satt
Bus verpasst – geschenkte Zeit
Jede Menge Lärm – Menschen um mich her
Erschöpft ins Bett – ein Tag voller Leben !
Amen
Frohe Weihnachten !
Genauso ist es.
Wichtig ist, sich regelmäßig klarzumachen, was man im Leben alles hat und wie privilegiert man selbst ist. Dadurch wird man automatisch geerdeter und erfährt ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit
Werner Heisenberg und Neils Bohr z.B. hätten ihre Freude dran gehabt. Die Welt ist im echten quantenelektrodynamischen Sinne metaphysich. Oder einfach quantenmechanisch, wobei wir selbst ein Resonanzsystem sind und nicht mal so sehr Bewusstheit die große Rolle spielt, sondern Mechanismen, Wechselwirkungen und vor allem Schnittstellen (Interfaces). Bewusstsein und etwas ruhiges Denken benötigen wir vor allem um die Sinne immer und vor allem im richtigen Moment offen und funktionstüchtig zu halten. Nicht zum Kontrollieren und Erzwingen durch Anstrengung und Stress. Gerade arbeite ich an einer sehr schwierigen Marketingaufgabe (Einführung neuer Technologie für sehr viele Anwendungen) und ohne die Vierfeldertechnik könnte ich diese Aufgabe überhaupt nicht machen. Seit Jahren glaube ich kaum noch, dass ich selbst das alles alleine mache. Aber immer öfter falte ich die Hände. Roland, ich wünsche vor allem gesundheitlich alles Gute und schöne Feiertage. Gruß Karl
Ich habe eben den Artikel gelesen „Dankeschön“ Es ist gut sich diesen Umstand ab und an mal wieder bewusst zu machen..Und wenn man kann, gar dankbar für das zu sein was wir alles – noch – haben